Stilles Staunen

Aus dem Katalog der Ausstellung „Wo ist Wahrheit“, Kunsthalle Vierseithof, Juni 2009, von Kasia Kaminski

Da steht man nämlich wie angewurzelt in der Kunsthalle. Eine Zeit lang hält man ganz still, bemerkt nur, wie die Frühlingssonne durch die hohen Fenster fällt, sich in manchen der Bilderrahmenscheiben spiegelt. Man kommt aus dem Staunen kaum heraus. Einen großen Block von Bildern haben Rebecca Raue und Katarzyna Kaminska, die Kuratorin der Kunsthalle, an die zentrale, dem Eingang gegenüber befindliche Wand des großen Raumes gehängt. Zwölf Arbeiten auf Papier, drei Stück in der Höhe, vier in der Breite, allesamt Querformate, je 100 auf 140 Zentimeter groß.

Es ist ein imposanter Block. Doch nicht allein der Ausmaße wegen. Nein, es verblüfft viel mehr die Farbigkeit, dieses bestimmte und doch feine Leuchten, das uns da aus den mitunter wie Zeichnungen wirkenden Blättern entschieden und trotzdem unaufdringlich entgegen flutet. Viel Rot und Blau, Gelb und Schwarz auf reichlich weißem Grund. Denn oft lässt Raue, die 1976 in Berlin geborene Künstlerin, die 1997 bis 2002 in der deutschen Hauptstadt bei Georg Baselitz und Rebecca Horn an der Universität der Künste studiert hat, viel Weiß auf dem Bildträger frei. So erzielt sie mit ihren leicht und bestimmt gesetzten Farbflächen, Linien und Figuren eine noch tiefere Wirkung. Alles scheint da am genau richtigen Platz. Die kraftvollen Töne, die aus dem Weiß der Fläche mitunter geradezu herauszubrechen scheinen, der lockere Strich, die gesetzten Schriftzeichen und Wortfolgen.

Neben „Wo ist Wahrheit“ lesen wir „leise suchen wir Leben“, sehen ein Mädchen mit Pferdeschwanz, das einen Bildschirm (oder ist das ein Bilderrahmen?) in den Händen hält. Daneben steht ein olivgrünes Tier. Etwas weiter im Hintergrund erkennt man die Silhouette einer weiteren weiblichen Figur. In einer orangegelben Wolke darüber steht das Wort „Angst“. Auf einem anderen Blatt entziffern wir „erwartet Wahrheit“, darunter das ausgestrichene Wort „Gnade“ und unter der „Wahrheit“ – und mit dieser durch eine Linie verbunden – lesen wir den Schriftzug „altes Wissen“. Wir sehen Mädchenfiguren, Häuser und Vögel, Engel, Wasser und Boote, Hunde. Und all das erscheint auch in weiteren, zuweilen kleinformatigen Bildern. Mitunter wirken die Arbeiten wie Kinderzeichnungen – so leicht und frei, so unverkrampft, dass in uns nach dem Staunen Freude und Entdeckerlust aufsteigt. Die Frage im Ausstellungstitel glaubt man dann wirklich beantworten zu können: Die Wahrheit liegt ganz einfach in Rebecca Raues Kunst.