Zeichnungen des Nicht-Sichtbaren

Aus dem Katalog zur Ausstellung „Beyond There Is What Lies Within” in Istanbul, April 2014, von Jochen Proehl


Zeichnungen des Nicht-Sichtbaren

“the bird knows – they have forgotten” oder “being transformed” lauten Titel von Werken der Berliner Künstlerin Rebecca Raue.
Die Kompositionen bauen sich aus Farbflächen und graphischen Elementen auf, die mit großer Leichtigkeit – fast Beiläufigkeit – aufgetragen scheinen und diesen Arbeiten die Anmutung von gigantischen Notizen aus einer anderen Wirklichkeit verleihen. Die Farben und Formen beschreiben also nicht und der Raum, der Gegenstand, die Figur, sind allenfalls Zitate aus der sichtbaren Erfahrungswelt des Betrachters.

Mit der Ausstellung “Beyond there is what lies within” in der BAUART Galerie Istanbul gastieren Rebecca Raues neueste Werke in einer Stadt, die nicht nur Zeugnisse aus der Blütezeit Osmanischer Kunst in großer Dichte beherbergt, sondern wo im Chora Museum Mosaiken aus Byzantinischer Zeit zu besichtigen sind, die zu den bedeutendsten ihrer Art gerechnet werden.

Mit ihrer Umgekehrten Perspektive, der Verdichtung von Ereignissen in der Fläche, mit den von der Bedeutung der Figuren abgeleiteten Proportionen, mit der Un-Räumlichkeit, die zugleich Bewegung impliziert, und dem Verweis auf eine außerweltliche Realität gehören auch sie zu jener Kunst, die Pavel Florenskij unter anderem zum Ausgangspunkt seiner Beweisführung gegen die Moderne mit ihrem zentralperspektivischen Darstellungsmodell nahm. Für Florenskij ist die Trennung zwischen Objekt und Betrachter, wie die Zentralperspektive sie vornimmt, undenkbar, weil die Zusammenhänge aller Geschehnisse in der Welt nicht voneinander lösbar seien.

Eine solche untrennbare Einheit von Objekt und Subjekt scheint auch in den Arbeiten von Rebecca Raue auf, mehr noch, die Themen scheinen sich selber auf die Bildfläche zu projizieren.
Und dennoch steht die Künstlerin in einer ganz anderen Tradition. Bei allen formalen Anklängen an bedeutende malerische Positionen des 20. Jahrhunderts, die Rebecca Raue in ihren Arbeiten fortschreibt, ist es besonders die zeichnerische Qualität, in der die unsichtbaren Dimensionen von Denken und Empfinden auf das Sehen treffen:

Die Titel deuten es bereits an – in diesen Arbeiten finden menschliches Sein, Fühlen, Denken und Nicht-Sein eine Ebene des Visuellen, die in der alltäglichen Wahrnehmung des Betrachters unzugänglich wäre.